Der Bittner-Bäcker aus Glatz in Schlesien

Erinnerungen an meine Kindheit von:

Manfred Bittner Elektromeister

Sohn des Bäckermeisters Gerhard Bittner

Enkel des Bäckermeisters Paul Bittner

Bahnhof Hilter

Erinnerung bewahren  - Zukunft gestalten  - in einem vereinigtem Europa

Vor 65 Jahren, am 12. März 1946 endete hier unser sechstägiger Transport

im Viehwaggon. Es war für uns die Stunde Null - wir waren am Nullpunkt

unseres Daseins angekommen und mussten uns neu orientieren. Wir waren

 im Westen angekommen und nicht in Sibirien. Nach einer Übernachtung im

Ringofen brachte man uns mit dem LKW (Milchwagen Nülle Eppendorf) in die

 Schule von Allendorf / Borgloh. Meine Grosseltern und kamen zu Nienbäcker,

meine Mutter und mein Bruder waren bei der Verteilung noch übrig geblieben.

 Herr Niermann nahm sie mit in sein bereits volles Haus im Wohlgefallen -  siehe

 das nächste Foto.

 Ein Jahr später kam unser Vater aus Amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Als meine Grossmutter verstarb, kam ich noch hinzu. Zu vier Personen bewohnten wir

 ein Zimmerchen  - Niermann`s Beste Stube. Den Rest des Hauses bewohnten Niermann`s mit zehn Kindern, von denen noch sechs im Elternhaus waren.

Und das Vieh: Zwei Kühe, Schweine und Hühner. Statt fliessend Warm- und Kaltwasser gab es jetzt Petroleumlicht und eine Schwengelpumpe , der im Sommer

 oft das Brunnenwasser fehlte. Besonders gewöhnungsbedürftig war für uns jedoch der Umstieg vom WC aufs Plumpsklo.

 Die Allendorfer sprachen Plattdeutsch - meine Grosseltern Schlesisch - meine Mutter, mein Bruder und ich Hochdeutsch.

Das Foto schoss ich am 19. März 2011 -  dem Josefstag -  65 Jahre nachdem wir hier ankamen.

"Laß dir die Fremde zur Heimat, nie aber die Heimat zur Fremde werden,"  sagt Adalbert Stifter.

Dessen unbewusst habe ich bereits als Kind so gelebt und gleich neue Wurzeln geschlagen, wie hier im Wohlgefallen in Allendorf. Meine Eltern erlebten hier die

 dunkelsten Tage ihres Lebens. Der Dauerstress von Krieg und Vertreibung war vorüber und hatte einer perspektivelosen Leere Platz gemacht. Sie hatten Zeit,

über ihr Elend nachzudenken. Wir Kinder hatten hier unser Paradies. Wenn es das Wetter nur irgendwie zuliess, so spielten wir im Busch. Wir gruben Bunker in

 Lehmwände oder verbrachten ganze Nachmittage hoch oben in den Bäumen  - ohne Netz und Fangseil. Immer wieder drehe ich mit meinem Flieger

mal eine Runde über diesem Stück alter neuer Heimat und hänge meinen Gedanken nach. Und dann sind sie wieder da, die vielen Erinnerungen,

 als sei es gestern erst gewesen. Warum aber besuche ich nach 65 Jahren dieses Treffen, obwohl ich weiss, dass es mich mindestens eine Nacht den Schlaf

kosten wird. Meine Antwort lautet:

Wenn die Vergangenheit nicht verarbeitet wird, kann die Gegenwart nicht gelebt und die Zukunft nicht entworfen werden.

Das sollten alle Demokraten wissen: Man darf nicht einfach in den Tag leben unter dem Motto: Essen und Trinken gut, alles gut.

Gedenktag am “Bahnhof der Erinnerung” am 2. April 2011

Ein Ausschnitt aus der Eröffnungsrede des Herrn Arnold Bittner am Bahnhof Hilter.

Bitte genau hinhören, denn so habe ich es erlebt.

Dann werdet Ihr auch verstehen, warum ich manches etwas anders sehe, ins besondere, wenn es ums Essen geht.

 So ist es mir unverständlich, wie man ein Butterbrot in den Abfall wirft  - und nicht nur ein Butterbrot ...

Und diesen Preis haben wir gezahlt:

Ostdeutschland die Heimat meiner Kindertage

 

Schlesien 33.400 Quadratkilometer so groß wie die Niederlande.

Ostpreußen 39.300 Quadratkilometer so groß wie die Schweiz

Pommern 31.400 Quadratkilometer grösser als Belgien

Danzig Westpreußen 1.960 Quadratkilometer so groß wie Luxemburg

Ostbrandenburg 12.600 Quadratkilometer so groß wie Schleswig-Holstein

 

Der Gedenktag war für uns alle ein voller Erfolg.

Circa 300 Menschen, Vertriebene und Einheimische die damals noch Kinder waren, weit mehr als angemeldet und angenommen hatten sich versammelt.

Ich danke ganz herzlich Klaus Labude, Barbara und Arnold Bittner für die gelungene Ausrichtung dieses Treffens

Ganz besonders erfreut hat mich die Teilnahme etlicher Einheimischer, wie wir sie damals nannten, wobei ich die Erinnerungen der Hilteranerin Grete Langer extra erwähne.

Vier Wochen nach unserem Treffen am Bahnhof der Erinnerung kreisen meine Gedanken immer wieder um das Erlebte.

Ich sichte alte Fotos und widme in Dankbarkeit die folgende Seite der  Familie Niermann im Wohlgefallen in Allendorf.